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Titel
The Captive Sea. Slavery, Communication, and Commerce in Early Modern Spain and the Mediterranean


Autor(en)
Hershenzon, Daniel
Reihe
Medieval and Renaissance Studies
Erschienen
Anzahl Seiten
IX, 289 S.
Preis
$ 55.00; £ 45.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Magnus Ressel, Historisches Seminar, Goethe Universität Frankfurt am Main

Das zu besprechende Werk behandelt ein Thema, das in den letzten Jahren intensiv erforscht wurde: Die wechselseitige Gefangennahme und die folgenden Freikäufe von Christen und Muslimen im Mittelmeerraum der Frühen Neuzeit.1 Der zugrundeliegende Antagonismus reichte bekanntermaßen bis ins Frühmittelalter zurück, er verschärfte sich jedoch mit Beginn der Frühen Neuzeit markant. Die Zahl christlicher Gefangener in Nordafrika stieg durch die um 1520 erfolgte Gründung der dem Osmanischen Reich verbundenen Barbareskenstaaten sprunghaft an, da diese den Kaperkrieg auf See und die Razzien an Land massiv intensivierten. Infolgedessen kam es in den meisten europäischen Staatswesen mit bedeutendem Seehandel zu einer Institutionalisierung des Freikaufs eigener Untertanen.

Der neue Ansatz von Hershenzon liegt darin, dass er am Beispiel Spaniens von ca. 1580–1620 anstelle der durch den Kaperkrieg und die Gefangennahmen entstehenden Abgrenzungen zwischen Nordafrika und Europa die – gewissermaßen als Nebeneffekt generierten – Konnektivitäten betont. Durch die der Gefangennahme folgenden Prozesse von Korrespondenz, Verhandlungen und eventuellem Freikauf in tausenden Fällen bildeten sich nach seinem Dafürhalten drei regionale „Korridore“ mit verdichtetem Kontakt: Dies war im Osten ein Gebiet von Tunis über Malta bis Sizilien, weiter westlich eines von Algier und Oran nach Norden zu den Balearen und Katalonien und schließlich im Westen das mediterrane Marokko, welches mit dem südlichen Andalusien und der spanischen Atlantikküste bis Sevilla verknüpft war.

Laut Hershenzon wurden diese Korridore durch die aufgrund stetiger Gefangennahmen erforderliche Organisation von Freikäufen erzeugt. Die Notwendigkeit der Kommunikation zwischen den Gefangenen und ihrer Verwandtschaft in der Heimat bedingte eine dichte Korrespondenz zwischen Spanien und Nordafrika. Die spanischen Autoritäten sahen sich infolgedessen auch gezwungen, zum kosteneffizienten Freikauf jüdische und muslimische Freikaufsexperten wieder ins Land zu lassen, nachdem man alle Nicht-Christen Anfang des 17. Jahrhunderts vertrieben hatte. Zudem brachten die Gefangenen wichtige Informationen aus Nordafrika über die feindlichen Staatswesen, die dem Ziel einer militärischen Nutzung dienen sollten. Bereits zu Beginn seines Buches fasst Hershenzon seine Deutung knapp zusammen: „Ironically, the redemption of captives, a form of mobility geared toward separating Christians from Muslims, extended the social and religious boundaries of coastal communities and port cities in Spain and North Africa and created new links between them.” (S. 10)

Die These ist originell und entwickelt die vor über zehn Jahren vorgebrachten Ideen von Wolfgang Kaiser deutlich weiter.2 Die implizite Aussage, dass die Spanier nach den gescheiterten Eroberungsversuchen seit 1580 kaum mehr Ambitionen auf eine Conquista Afrikas hegten und eine Nichtbeachtungs- und Embargopolitik gegenüber den Nachbarn südlich von Gibraltar betreiben wollten, wird zwar nicht ausgebreitet, liegt aber eindeutig als Hintergrundfolie vor. Diesem Wunsch zum Trotz zwangen die Korsarenaktivitäten der Barbaresken den Spaniern Reaktionen auf, die in den genannten Verbindungen der drei Regionen resultierten.

Nach einer kurzen Einleitung stellt Hershenzon zunächst in den ersten drei Kapiteln den Kontext der grundsätzlichen Parameter des Sklaverei- und Freikaufswesens im Mittelmeer vor. Im ersten Kapitel beleuchtet er die Sklaverei als Phänomen des frühneuzeitlichen Mittelmeerraums. Man erfährt etwas über die typischen Szenarien der Gefangennahme und das Leben als Gefangener beim jeweiligen Glaubensfeind sowie die überraschend hohe Mobilität der Sklaven und über ihre vielfältigen Beschäftigungsmöglichkeiten, die auch Gelderwerb erlaubten. Das zweite Kapitel fokussiert auf die Freikäufer der spanischen Seite, vor allem auf die in der Kreuzzugszeit gegründeten Orden der Trinitarier und Mercedarier. Bislang kaum in der Literatur beachtet wurden die hier vorgestellten Kritiker innerhalb Spaniens, die in den fortgesetzten Freikäufen eine Belohnung des Kriegsgegners für seine Aktivitäten sahen. Auch die Betonung der im Rahmen von Freikaufsmissionen ermöglichten Handelsaktivitäten bringt einen neuen und wichtigen Aspekt in die Forschung ein. Im dritten Kapitel stehen die Gefangenen als eigenständige Akteure im Mittelpunkt. Die Möglichkeiten von diesen, ihren Freikauf über Kontakte in die Heimat und zu den Freikaufsorganisationen sowie deren lokalen Agenten voranzutreiben und bisweilen sogar zu organisieren, zeigt ein überraschendes Potential an Handlungsmöglichkeiten auf.

In den folgenden drei Kapiteln geht es um die Zirkulation der von den Gefangenen produzierten Informationen im Mittelmeer und deren sozialen und politischen Auswirkungen. Im vierten Kapitel wirft Hershenzon den Blick auf die Gefangenen als Akteure, deren Informationen für die Heimatgesellschaft von hoher Bedeutung waren. So konnten die Ehefrauen von Männern im Falle von deren Konversion oder Tod in der Fremde wieder heiraten oder Sammlungen für den Freikauf einstellen. Im fünften Kapitel beleuchtet Hershenzon das System der Reziprozität von Gewalt und Gegengewalt im Mittelmeerraum. Gewalt oder Unrecht gegenüber den Gefangenen wurde typischerweise bald auf der anderen Seite des Mittelmeers bekannt und führte zu entsprechenden Retorsionen. In der Praxis wurde daher von den Spaniern wie den Nordafrikanern darauf geachtet, die Sklaven nicht übermäßig schlecht zu behandeln, um diese impliziten Regeln des Konfliktes nicht zu verletzen. Das sechste Kapitel widmet sich den Gefangenen als wesentlichen Informationsträgern zur Gewinnung von Erkenntnissen über die nordafrikanischen Feinde Spaniens, die von der spanischen Politik aufgenommen und auch zu militärischen Aktionen genutzt wurden.

Das siebte Kapitel bietet als Kulminationspunkt eine spektakuläre Fallstudie: Die Entführung der Tochter eines hochrangigen Janitscharen der Regentschaft Algier (Fatima, nachher Madalena) durch Genuesen und deren folgende Konversion in Italien wurde 1609 durch die Verhaftung von Trinitariermönchen in Algier vergolten. Es folgten vertrackte Verhandlungen im ganzen Mittelmeerraum, die indes allesamt scheiterten: „In the following years, several failed attempts to free Fatima, Monroy, del Águila, de Palacios (die gefangenen Trinitarier; MR), and the captives they had redeemed were negotiated by the pasha of Algiers, grandees of the Spanish Empire, Jewish and Muslim intermediaries, the Trinitarians, other captives and their kin, the Queen Consort of France, the Grand Duke of Tuscany, the Republics of Venice and Genoa, the pope and even the Ottoman sultan“ (S. 166). Hershenzon zeigt hier emblematisch die fragile Komplexität der durch Kaperkrieg und Freikaufswesen unentwirrbar aufeinander bezogenen nördlichen und südlichen Mittelmeeranrainer um 1600. Der Basiskonsens konnte auch erodieren, was in diesem Fall zu einer scharfen Eskalation führte, die das Jahrzehnt nach 1610 kennzeichnen sollte.

Auf das knappe Fazit folgt ein weitgespanntes Literaturverzeichnis mit hauptsächlich englischsprachigen und manch spanisch- oder französischsprachigen Titeln. Ein Register rundet den handlichen Band ab.

Hershenzons Werk ist ein kühner Wurf und wirkt wohl auch deswegen an mancher Stelle überspannt. So scheinen mir die drei Korridore eher fehlkonstruiert, da sich Gefangene aus dem gesamten westlichen Mittelmeerraum hauptsächlich in Algier wiederfanden. Auch waren die Beziehungen Spaniens zu Marokko in diesem Zeitraum wohl weniger antagonistisch, da dieser Maghrebstaat um 1600 auch immer wieder gewisse Formen von Unterstützung gegen Algier beim nördlichen Nachbarn suchte. Vor allem aber werden die Konnektivitäten überbetont. Zwar entstanden und intensivierten sich durch die vielen Gefangennahmen und Freikäufe sicherlich Verbindungen zwischen Spanien und Algier und umgekehrt. Doch mit der massenhaften Vertreibung der Morisken aus Spanien nach Nordafrika überwog in dieser Zeit der Verlust von Konnektivität überdeutlich. Auch scheint mir Hershenzon die kommerziellen Kontinuitäten zu unterschätzen. So unterhielten die Spanier gerade im Raum der Presidios wie Orán mannigfaltige Verbindungen zu nordafrikanischen Stämmen, ganz abgesehen vom Handelsverkehr französischer, also häufig neutraler Schiffe zwischen beiden Küsten des Mittelmeers.3

Diese kritischen Bemerkungen schmälern keineswegs die beeindruckende Leistung des Autors, eine systematische und konzise Zusammenstellung von unfreiwilligen Konnektivitäten der zwei feindseligen Mächte Algier und Spanien als Nebeneffekte des Kaperkrieges und Freikaufswesens vorgelegt zu haben. Diese finden sich nun in einer überraschend umfassenden Breite dargestellt, was dieses Buch zu einer Bereicherung für das Forschungsfeld der europäischen Freikäufe aus Nordafrika macht.

Anmerkungen:
1 Vgl. nur jüngst: Mario Klarer (Hrsg.), Piracy and Captivity in the Mediterranean. 1550–1810, London 2018; Giulia Bonazza, Abolitionism and the Persistence of Slavery in Italian States. 1750–1850, London 2018.
2 Wolfgang Kaiser (Hrsg.), Le commerce des captifs. Les intermédiaires dans l’échange et le rachat des prisonniers en Méditerranée. XVe-XVII e siècle, Rom 2008.
3 Vgl. dazu Paul Masson, Histoire des Établissements et du Commerce francais dans l'Afrique barbaresque (1580–1793). Algérie, Tunisie, Tripolitaine, Maroc, Paris 1903.